Rechenschaft Nr. 3

M. Sc. Moritz Kick leitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter die Arbeiten im Teilprojekt 9 am Fraunhofer Institut für Solare Energiesysteme (ISE). Im Teilprojekt entwickelte er die Rezeptur für eine stabile Wasser-in-Öl-Emulsion mit Schmelzpunkterniedrigung. Diese Emulsion ist ein neues Kälteträgermedium im Temperaturbereich unter 0°C.

Wie wurden die Arbeiten motiviert?
Der steigende Bedarf an effizienten und kostengünstigen Speichersystemen für Kälteanwendungen bildeten den Ausgangspunkt für diese Forschung. Positive Ergebnisse bei der Emulsionsentwicklung für Anwendungen oberhalb von 0 °C beförderten den Wunsch, die Übertragbarkeit auf ganz neue Kältespeicherfluide für Anwendungen unterhalb 0 °C zu erproben. Erste positive Versuchsergebnisse mit explorativen Emulsionsrezepturen legten den Grundstein für eine intensivere Untersuchung der Stoffsysteme und Parameter, die eine stabile Emulsion und systematische Reduktion der Unterkühlung ermöglichen. Insbesondere sollte durch den gezielten Einsatz handelsüblicher Komponenten – wie Polyethylenglykol 600 und spezifischer Tenside – ein Materialsystem entwickelt werden, welches bei Bedingungen unter 0 °C zuverlässig funktioniert und für den späteren praktischen Einsatz vorbereitet ist.

Welche Arbeiten wurden durchgeführt? Was sind die erzielten Ergebnisse?
Mit einer Vielzahl experimenteller Ansätze unterstützt durch eine statistische Versuchsplanung fanden die Forscher eine stabile Wasser-in-Öl‑Emulsion und verfeinerten diese im Rahmen einer tiefergehenden umfangreichen Parameterstudie. Neben der Lager- und Zyklenstabilität der Emulsion wurde durch Zugabe von Salzen eine Schmelzpunkterniedrigung auf -19 °C erreicht. Der Einsatz von Keimbildnern reduzierte die Unterkühlung, um anwendbare Eigenschaften zu erzielen.
Wesentliche Erkenntnisse konnten aus thermischen Analyseverfahren, wie der DSC (Differential Scanning Calorimetry), gewonnen werden. Diese Messungen zeigten, dass Polyethylenglykol 600 als Keimbildner erst ab dem zweiten Gefrierzyklus wirksam zur Keimbildung beiträgt. Die DSC-Kurven verdeutlichen, dass sich der Hauptkristallisationspeak erst nach dem ersten Zyklus ausbildet und in den folgenden Zyklen konsistenter und ausgeprägter auftritt. In einem Versuch, die thermische Aktivierung zu untersuchen, wurde festgestellt, dass beim erneuten Erhitzen der Probe auf 10 °C zwischen den Gefrierzyklen die Unterkühlung im nächsten Zyklus zunächst stark ansteigt (über 20 K) und danach in den darauffolgenden Zyklen wieder auf ca. 3…4 K sinkt. Diese Beobachtung untermauert die Hypothese, dass sich Polyethylenglykol 600 zunächst auflöst und beim ersten Abkühlen ein Keim gebildet wird, der jedoch nicht unmittelbar seine Wirkung entfaltet.
Ergänzend zu den DSC-Messungen führten die Experten Rheometer-Experimente durch, um die Auswirkungen unterschiedlicher Scherraten und Temperaturwechselbedingungen auf die Viskosität und damit auf die Stabilität der Emulsion zu untersuchen. Dabei zeigte sich, dass sich bei niedrigen Scherraten (10 s⁻¹) die Viskosität während wiederholter Heiz- und Abkühlzyklen am stärksten erhöht, was auf eine verstärkte Tröpfchenagglomeration und Phasentrennung hinweist. Höhere Scherraten (50 s⁻¹ und 100 s⁻¹) erleichtern dagegen das Aufbrechen und die Redispergierung der Tröpfchen, wodurch die Viskosität über den Testzeitraum nur moderat ansteigt. Tests in Klimakammern ergaben darüber hinaus, dass wiederholtes Einfrieren und Auftauen bei Minustemperaturen zu deutlich weniger Phasentrennung führt als eine längere Lagerung bei Raumtemperatur. So zeigte beispielsweise eine Emulsion mit einem hydrophil-lipophilen Gleichgewicht (HLB) von 8 über 200 gerührte Gefrier-Auftau-Zyklen nur minimale Trennvorgänge, während Formulierungen mit höheren HLB-Werten stärkere ölartige Absonderungen entwickelten.
Insgesamt hat sich eine optimierte Formulierung herauskristallisiert: Eine Emulsion mit einem HLB von 8,30 Gew.-% dispergierter Phase und 3 Gew.-% Polyethylenglykol 600 erzielen eine Unterkühlung von etwa 3 K, weist einen Schmelzpeak nahe –18,7 °C auf und behält bei wiederholten thermischen Zyklen eine moderate Viskosität zwischen 300 und 350 mPa·s bei – und das über einen Zeitraum von ca. zwei Monaten. Eine Variante mit 33 Gew.-% Wasser-in-Öl-Phasenwechselmaterial zeigte zudem eine maximale Wärmekapazität von rund 60,8 J/g, was einem Speicherfaktor von ca. 3,13 gegenüber reinem Thermalöl entspricht.

Wissenschaftlich-technische Herausforderungen
Die Hauptaufgabe bestand darin, ein Materialsystem zu entwickeln, das bei sehr tiefen Temperaturen sehr gut als Kälteträger funktioniert. Dies erfordert die gleichzeitige Realisierung eines niedrigen Schmelzpunkts, einer minimierten Unterkühlung und einer hohen Langzeitstabilität – selbst unter variierenden mechanischen und thermischen Belastungen. Die präzise Abstimmung der Wechselwirkungen zwischen Polyethylenglykol 600, dem Tensidgehalt und dem Anteil der dispergierten Phase stellte dabei eine besondere technische Herausforderung dar.

Innovationsaspekte
Die Innovation der Arbeiten liegt in der Kombination aus hoher thermischer Kapazität bei gleichzeitiger Pumpbarkeit und bietet einen klaren Vorteil gegenüber bisherigen Ansätzen, bei denen keine solchen hohen Wärmeübertragungsleistungen unter 0 °C möglich sind. Durch den gezielten Einsatz von Polyethylenglykol 600 als Keimbildner konnte der Prozess der Unterkühlungsreduktion maßgeblich verbessert werden. Diese Herangehensweise ermöglicht es, mit relativ geringen Mengen von Zusätzen eine stabile und leistungsfähige Formulierung zu erreichen, die herkömmlichen Techniken in puncto Umweltfreundlichkeit und Wirtschaftlichkeit überlegen ist, wozu die systematische Optimierung eines Wasser-in-Öl-Emulsionssystems unter Verwendung weitgehend handelsüblicher Komponenten beiträgt.

Verwertung und praktische Übertragung
Die wissenschaftlichen Ergebnisse wurden bereits auf nationalen sowie internationalen Fachtagungen präsentiert und haben bereits positive Resonanz in der Fachwelt gefunden. Obwohl derzeit noch keine direkte wirtschaftliche Verwertung erfolgt, ist der nächste Schritt die Integration der optimierten Emulsion in Demonstrator-Systeme. Ziel ist es, durch weitere technische Weiterentwicklungen und Pilotversuche unter realen Betriebsbedingungen den Weg in marktreife Anwendungen zu ebnen. Dabei sollen insbesondere der Wassergehalt erhöht und der Schmelzpunkt weiter unter –20 °C gesenkt werden, um die Energiedichte nachhaltig zu steigern und den adressierbaren Temperaturbereich zu vergrößern. Diese Maßnahmen bieten zudem die Chance, potenzielle Industriepartner und kommunale Versorger von den Vorteilen des entwickelten Systems zu überzeugen.

Wann ist der Kälteträger einsatzfähig?
Die Grundlage für eine gezielte Weiterentwicklung auf konkrete Anwendungsbedingungen wurde geschaffen. Die erforderlichen Schritte bis zur Marktreife bedürfen ca. 2…5 Jahre weiterer Forschungsarbeit, die neben Materialanpassungen auf konkrete Anwendungsfälle auch systemseitige Fragestellungen beinhaltet.

Anschlussfähigkeit
Auf Basis der geschaffenen Grundlage können die Wasser-in-Öl-Emulsionen im Anschluss gezielt auf konkrete Anwendungsfälle hin optimiert werden. Außerdem besteht die Möglichkeit, neben dem ammoniumsuflatbasierten Stoffsystem auch andere Salzmischungen für weitere Schmelzpunkte unterhalb 0 °C zu untersuchen. Des Weiteren sind systemseitige Untersuchungen hinsichtlich der Herstellungsverfahren und der technischen Anwendung erforderlich, um eine Überführung in marktreife Produkte zu ermöglichen.


Fazit
Im Teilprojekt 9 konnten stabile Wasser-in-Öl-Emulsionen mit einem Schmelzpunkt bis ca. –20 °C hergestellt werden, die nur noch geringfügig unterkühlt sind und sich damit bereits für erste Testanwendungen eignen. Versuche, den Schmelzpunkt weiter auf –30 °C zu senken, blieben aufgrund der eutektischen Grenzen des Wasser-/Ammoniumsulfat-Systems erfolglos. Die bisherigen Arbeiten des ISE im Rahmen des Teilprojekts 9 sind abgeschlossen. Die gewonnenen Erkenntnisse legen den Grundstein für zukünftige Anwendungsfelder in der Kälte- und Energiespeicherung, wobei die entwickelte Technologie einen wesentlichen Beitrag zu umweltfreundlichen und kosteneffizienten Speichersystemen leisten kann.


Text: Gerrit Füldner, Thomas Haussmann, Fotos: ISE

KETEC - Forschungsplattform Kälte- und Energietechnik